Nuestro Señor de la Columna

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Nächtliche Prozession von Atotonilco nach San Miguel de Allende

Zwei Wochen vor Ostern findet eine außergewöhnliche Prozession statt, die ab Mitternacht eine Statue des gegeißelten Christus von der Wallfahrtskirche »Santuario de Jesús el Nazareno« in Atotonilco in die Kirche »San Juan de Dios« nach San Miguel de Allende bringt.

Die Tradition geht auf das Jahr 1812 zurück, als die Stadt von einer Plage heimgesucht wurde. In der Hoffnung diese Plage stoppen zu können, wurde die Statue in die Kirche »San Juan de Dios« neben dem Hospital gebracht.

Sonntags zwischen 6 und 7 Uhr trifft die Prozession in San Miguel de Allende ein und viele Zuschauer säumen zur Begrüßung die geschmückten Straßen. Wir hatten davon schon Bilder gesehen und wollen dieses Jahr dabei sein, wenn die Prozession in der Stadt ankommt.

Durch Gespräche mit Einheimischen finden wir heraus, dass auch wir an der Prozession teilnehmen können. Der Entschluss ist schnell gefasst, denn so erhalten wir einen spannenden Blick hinter die Kulissen und erleben die Prozession auf den ganzen 13 km von Atotonilco bis San Miguel de Allende.

Wir erzählen Terri & Mike von unseren Plänen und laden sie ein, uns auf dieser »Nachtwanderung« zu begleiten.

Keiner kann vorher wirklich schlafen und als wir uns um 23:15 Uhr auf den Weg machen, sind wir gespannt, was die lange Nacht noch bringen wird. Unterwegs im Taxi begegnen wir sehr vielen Polizeifahrzeugen und auch als wir Atotonilco erreichen, ist die große Polizeipräsenz nicht zu übersehen.

Unzählige Verkaufsstände säumen die Kopfsteinpflasterstraße, die uns direkt zum großen Platz vor die Wallfahrtskirche führt.

Seit 2008 gehört die sehenswerte Wallfahrtskirche zum UNESCO Weltkulturerbe (siehe Fotogalerie Atotonilco).

Geschätzte tausend Menschen sind hier schon versammelt und der Platz füllt sich immer weiter. Wir hatten ja nicht mit vielen Bleichgesichtern gerechnet, aber jetzt sind wir wohl die Einzigen, die nicht wie Mexikaner aussehen.

Pünktlich werden die verhüllten Statuen aus der Kirche gebracht und auf dem erhöhten Bereich vor dem Eingang findet eine Messe statt.

Die Geistlichen verlassen mit den Statuen den Platz, die Menschenmasse setzt sich in Bewegung und folgt ihnen zur Straße nach San Miguel de Allende.

Die Prozession ist hier noch sehr beengend und zwischen den vielen Beinen können wir die dunkle Straße kaum erkennen. Die in Mexiko so »beliebten« Topes (Bodenschwellen) werden in dieser engen Menschenmasse zu gefährlichen Stolperfallen.

Überhaupt erfordert es ständig große Konzentration, dem Vordermann nicht in die Ferse zu treten und gleichzeitig auf Steine, Schlaglöcher und Topes zu achten. Die mitgebrachte Taschenlampe hilft in dieser Enge nur bedingt.

Wir verlassen das grobe Kopfsteinpflaster und erreichen die gut ausgebaute Landstraße. Sie ist halbseitig für die Prozession gesperrt und so passieren uns abwechselnd die langen Fahrzeugkolonnen aus beiden Fahrtrichtungen, welche jeweils von einem Polizeiwagen angeführt werden.

Für kurze Gebete hält der Prozessionszug öfters an und durch die langsame Bewegung kriecht die nächtliche Kälte sukzessive in der Kleidung hoch.

Gegen 3 Uhr früh erreichen wir auf freiem Feld die Kirche, an der die längere Messe abgehalten wird. Hier gibt es warme Getränke und an den verschiedenen Ständen kann man sich mit allerlei warmen Speisen versorgen.

Zahlreiche Personen liegen auf dem kalten Boden und Nutzen den etwa einstündigen Aufenthalt, um versäumten Schlaf nachzuholen. Jetzt wird auch klar, warum so viele der Nachtschwärmer warme Decken mitgebracht haben.

Kurz vor 4 Uhr ist die Messe beendet und wir schließen uns den ersten Gruppen an, die weiter Richtung San Miguel de Allende gehen.

Wir sind den Statuen nun weit voraus und der Prozessionszug zieht sich auseinander.

Polizisten reiten an uns vorbei und wenig später sehen wir eine Gruppe Jugendliche, die allesamt ihre Hände im Nacken halten und von den berittenen Polizisten in Schach gehalten werden.

Es ist nicht ersichtlich, ob es einen Vorfall gab oder ob es sich um eine Sicherheitsmaßnahme bei einer Routinekontrolle handelt. In Mexiko geht die Polizei bei unübersichtlichen Kontrollen auf Nummer sicher und stellt die zu kontrollierten Personen mit erhobenen Händen an eine Wand oder an ein Fahrzeug. Mangels Wand und Fahrzeug müssen hier die Hände in den Nacken.

Wir erreichen den Campingplatz außerhalb der Stadt und wissen, dass es von hier nicht mehr weit zur Abzweigung ist, die uns in die Stadt führt.

San Miguel de Allende begrüßt uns um 5 Uhr mit prachtvoll geschmückten Straßen, bestehend aus einem endlosen Blumenmeer und bunten Bildnissen aus gefärbten Sägespänen.

Alle Bildnisse sind noch unberührt, da die Statuen noch nicht eingetroffen sind und so genießen wir die ganze Schönheit dieser etwa 1.5 km langen, buntgeschmückten Prachtstraße.

Wir kommen am Ende des geschmückten Stadtteils an, es ist 6 Uhr früh und nach 13 km Nachtwanderung, über sechs Stunden ununterbrochen auf den Beinen und spürbar übernächtigt, möchten wir nicht mehr auf das Eintreffen der Statuen warten.

Dies kann sich noch weit über eine Stunde hinziehen, zumal auf den geschmückten Straßen die Prozession noch langsamer voranschreitet und die Messe in der Kirche »San Juan de Dios« erst um 8 Uhr beginnt.

Wir gehen nach Hause und fallen dort mit der Morgendämmerung müde ins Bett.

Bilder Nuestro Señor de la Columna

„Tragt Sorge zum Licht. Die Prozession ist noch lang.“
(unbekannt)