Reist du noch oder wohnst du schon?

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San Miguel de Allende

In Dawson City erliegen wir beinahe der relaxten Beschaulichkeit des hohen Nordens, im charmanten Victoria verhindern die herbstlichen Temperaturen gerade noch Schlimmeres und am traumhaften Strand der Baja California lädt die vorbeifahrende Festland-Fähre täglich zur Mitfahrt ein.

Nun versprüht die bezaubernde Kolonialstadt San Miguel de Allende die unbeschwerte Lebensart des Südens, Minustemperaturen sind hier fremd und im hügeligen Hochland fordert uns auch keine Fähre zur Weiterfahrt auf!

So vernebelt die magische und bunte Atmosphäre der Pueblo Mágico unsere Sinne, wir entdecken täglich Neues, lernen außergewöhnliche Menschen kennen und die Tage ziehen unaufhaltsam vorüber.

Es ist also geschehen: Unseren Übernachtungsplatz buchen wir schon monatsweise, wir besitzen mexikanische Mobilnummern und sind nun seit gut vier Monaten im zentralen Hochland in San Miguel de Allende.

Mitte April packen die letzten »Winterurlauber« aus USA und Kanada zusammen, machen ihre Wohnmobile reisefertig und begeben sich im kleinen Konvoi auf den langen Trek nach Norden.

Jetzt sind im RV Park nur noch drei Plätze dauerbelegt und als auch unsere verbliebenen Nachbarn vorübergehend unterwegs sind, haben wir den RV Park praktisch für uns allein.

Nur selten kommen zu dieser Jahreszeit neue Reisende. Vielleicht zwei Wohnmobile pro Monat, die entweder nur für eine Zwischenübernachtung oder gleich für eine Woche und länger bleiben.

Ohnehin sind ab April deutlich weniger Bleichgesichter in den Straßen der Stadt zu sehen und wir erleben nur die angenehmen Seiten der unausgelasteten, touristischen Infrastruktur. Ab Juli kommen die Touristen zurück, aber San Miguel wirkt niemals überlaufen.

Die Regenzeit verspätet sich und entsprechend trocken und staubig ist der Juni.

Die Kehle wird selbst bei kurzen Erledigungen unangenehm, ja fast schmerzhaft trocken und man erinnert sich an alte Western, in denen die Helden den langen Ritt im Salon beendeten, um sich den heißen Staub aus der trockenen Kehle zu spülen.

Jeder hofft, dass der ersehnte Regen bald kommt und dadurch die Atemluft staubfreier und kühler wird.

Mit künstlicher Beregnung führt man im RV Park einen ungleichen Kampf gegen die unbezwingbare Trockenheit.

Abends wirbeln böige Winde oft meterhohe Staubwolken quer über den Platz und mitten durchs Reisemobil.

Die Maus, die auf dem Tisch gerade noch verschleißfrei gleiten konnte, fühlt sich danach wie ein Schleifklotz auf Sandpapier an.

San Miguel ist die Stadt der Feste, der Kunst und der Kultur.

Musik und Feuerwerke begleiten die zahlreichen Festivitäten, die meist an Wochenenden und oft über mehrere Tage gefeiert werden.

Auch bei Kirchenfesten sind moderne Open-Air-Live-Musik und Feuerwerke häufig fester Bestandteil der Veranstaltung.

An der Iglesias San Antonio wird die halbe Nacht Musik gespielt und eines der größten Feuerwerke kurz vor Tagesanbruch – um etwa 6:00 Uhr morgens – ohrenbetäubend abgefeuert!

Wie von Sinnen werden dazu lautstark die Kirchenglocken per Hand geläutet. In Deutschland unvorstellbar!

Der Dia de los Locos ist der im Juni gefeierte »Tag der Narren«, an dessen farbenfrohen und verrückten Umzug angeblich bis zu 10.000 Narren und über 50 Fahrzeuge teilnehmen. Ein wirklich närrisches Vergnügen!

Kulturell ist San Miguel eine Fundgrube der besonderen Art.

Musikkonzerte, Tanzvorführungen, Filmfestival, Ausstellungen, unzählige Galerien u.v.a.m. sorgen dafür, dass bei Interessierten absolut keine Langeweile aufkommt.

Zur persönlichen Entfaltung bieten sich eine Vielzahl von künstlerischen und handwerklichen Kursen an.

Dazu gehören das Erlernen von Musikinstrumenten, Tanz, Schmuckherstellung, Teppich weben, Töpfern, Malerei, Fotografie u.v.a.m.

Nicht unerwähnt sollen die zahlreichen Sprachschulen und Sprachlehrer bleiben, die neben Spanisch auch andere Sprachen unterrichten.

Die Regenzeit beginnt und der trockene Staub verschwindet.

Meist nachmittags ziehen vereinzelt weiße Wolken am ansonsten blauen Himmel auf. In der Ferne werden sie dichter, dunkler und rücken unaufhaltsam näher.

Dann vollbringt Tláloc zügig sein erfrischendes Werk und lässt meist kurz darauf das warme Licht der Abendsonne wieder scheinen.

Die Landschaft verändert sich rapide. Überall grünt, treibt und sprießt die Natur.

»Der Sachen sprießen lässt« lautet die Übersetzung von Tláloc, dem Namen des Regengottes der Azteken.

Im August und September soll er Überstunden machen, denn in diesen Monaten wird, wegen des verspäteten Anfangs, der Höhepunkt der Regenzeit erwartet. Wir sind gespannt und werden berichten!

Unseren Aufenthalt in San Miguel erleben wir als unerwartete und bereichernde Etappe auf der bisherigen Reise.

Dieser Reiseabschnitt bringt seine ganz eigenen Qualitäten mit sich, mit denen wir so nicht gerechnet haben und die wir auch nicht missen möchten.

Die nächsten Wochen verbringen wir noch in San Miguel und werden auch im Umland unterwegs sein.

Bilder

„Das kommt davon,
wenn man auf Reisen geht.“
(Albert Lortzing, 1801-1851)